Erste Aussichten

Dr. Maskey, Direktor der nepalischen Naturschutz-Behörde, kommt Ende September zu Besuch, um sich Bhagyas Gehege anzuschauen. Er ist beeindruckt und bemerkt: "Das ist wesentlich besser als die Käfige im Kathmandu Zoo. So ein Gehege könnten wir in Kasahara [Hauptquartier des Chitwan Nationalparks] gebrauchen, um dort ein Waisenhaus für Großkatzen einzurichten. Ich bin nur etwas besorgt darüber, dass ein Journalist hier auftaucht und irgendetwas Ärgerliches schreibt." Als ich ihm versichere, dass wir nie vorhatten, Bhagya auf unbestimmte Zeit hier zu halten, sondern ich nach einem Platz für ihn suche, erläutert er kurz den Prozess zur Ausfuhr-Genehmigung und erklärt: "Eine Überführung in einen Privatzoo ist aber aufgrund der derzeitigen Rechtslage nicht möglich. ... Für die Genehmigung der Ausfuhr des Tieres erwarten wir eine Spende zum Aufbau einer Auffang-Station für Wildtiere."
Als ich Bhagya später Frühstück bringe, schnuppert er zwar daran, aber rührt es nicht an. Stattdessen setzt er sich vor die Tür und schaut zwischen seiner Leine und mir hin und her. So eindeutig hat er mir noch nie zu verstehen gegeben, dass er wie immer vor dem Frühstück spazieren gehen will.

Auf der Wiese bellen plötzlich Hunde. Bhagya rast gleich auf den nächsten Baum - nicht vor Schreck, sondern um besser sehen zu können, was da los ist.

Mit einem kehligen "Aom"-Laut betrachtet er Bäume, die sein Interesse wecken. Zuerst schaut er sie sich aus verschiedenen Blickwinkeln an, springt sie dann an und klettert hoch, so weit die Leine es zulässt. Eines Abends jedoch lasse ich die Leine los, und Bhagya klettert bis fast in die Krone. Die Äste werden so dünn, dass sie brechen. Er zögert. Und beginnt, ganz kläglich zu miauen.

"Bhagya, komm! Komm zurück! Komm zu mir!"

Vorsichtig dreht er sich um und kommt mit dem Kopf nach unten zurück. Als er sieht, dass ich nur 2,5 m unter ihm stehe, lässt er sich einfach auf mich fallen, darauf vertrauend, dass ich ihn auffange.

Von Gerard erhalte ich eine Liste mit Einrichtungen und Organisationen in USA and Canada, die sich um Großkatzen in Not kümmern. Er macht mich auch mit Vernon Weir von American Sanctuary Association bekannt. Vernon schreibt: "Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann ich eine Auffangstation in USA ausfindig machen, die Platz für einen Leoparden hat. Aber das wird viel Arbeit und Kosten mit sich bringen. Wieviel wird der Flug kosten? Das Tier wird auch ein Gesundheitszeugnis brauchen. Wir werden eine Einfuhr-Genehmigung der US 'Fisheries and Wildlife'-Behörde brauchen, und eventuell auch eine CITES Genehmigung. Ihre dortige Naturschutz-Behörde wird die Ausfuhr genehmigen müssen."

Erfreut über die Unterstützung, schreibe ich Vernon gleich ausführlich, aber er wird nie wieder antworten.

Im Gehege An einem verregneten Nachmittag will Jaques Bhagya gegen Tollwut impfen. "Bist Du sicher, dass Du in Deinen kurzen Hosen ins Gehege gehen willst?" frage ich ihn. "Warum denn nicht? Meinst Du etwa, Bhagya findet die nicht schön?"

Bhagya fletscht die Zähnchen: Jaques' schwarzer Regenschirm gefällt ihm überhaupt nicht, seine nackten Beine schon eher. Als der Tierarzt mir ins Gehege folgt, faucht Bhagya ihn an. Blitzschnell springt Jaques nach draußen. Vom Schreck und Zittern erholt, hockt er sich vor das Gehege und schaut zu, wie ich Bhagya einfange. Als ich ihn endlich zwischen mich und den Maschendraht halten kann, gibt Jaques ihm geschwind die Spritze.

Bhagya ist 6½ Monate alt, als er eines Morgens eine winzige Zahnlücke hat - im Oberkiefer fehlt ein Schneidezahn. In den nächsten Tagen verliert er einen Schneidezahn nach dem anderen und sieht lustig aus, wenn er knurrend seine kleinen Zahnlücken fletscht, um seine Lieblingsmahlzeit, Hühnchen, zu verteidigen.

Gerard schickt eine Email von Peter Klose, Programmdirektor von Jungle Cat World, ein Wildpark in der Nähe von Toronto, Canada: "Mit diesem Leoparden haben Sie ein interessantes Dilemma an der Hand. Persönlich bin ich von der ganzen Sache angetan und würde gerne helfen. Leider ist das nicht meine alleinige Entscheidung. Ich habe Ihre Email an Rob, unseren ‘Feline Conservation Director’, und Christa, die Inhaberin, weitergeleitet. Zweifellos könnten wir dem Leoparden ein sicheres und komfortables Zuhause bieten, aber wir müssen einen Blick auf unseren freien Platz und künftigen Kollektionsplan werfen. Wenn der Leopard ins Zuchtbuch aufgenommen werden könnte, dann würde das die Wichtigkeit unterstreichen, das Tier nach Nord-Amerika zu bringen. ... Ich werde tun was ich kann."

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